Ich bin ein Liebhaber von „Slowfood“. Schätze das „Selbstgemachte“ in jeder Richtung. Warum nicht auch Slowtextiles.
Das Arbeiten mit der Hand, der greifbare Kontakt mit den nicht nur textilen Materialien lässt viel Spielraum, vielleicht mehr als unter Einsatz der (Näh-) Maschine. Die Richtung spontan wechseln, Farben austauschen - einfügen, wo und wie immer es mir gerade in den Sinn kommt. Aufnähen, ausschneiden, unterlegen, einweben, einklöppeln…...und so vieles mehr. Übereinander, ineinander....…ein Leben reicht nicht aus, um die Fülle der Möglichkeiten auszuschöpfen....Das langsame Arbeiten mit den unterschiedlichen Materialien bestimmt mein Leben zu einem großen Teil. Und das nicht erst, seit Kinder aus dem Haus, Berufsleben beendet….nein, schon immer. Es ist ein Teil von mir. Heute kann ich aus den unendlich vielen Stunden und Jahren des Lernens wählen was mir gerade nützlich erscheint, aus dem Vollen schöpfen. Und es ist eine „unendliche Geschichte“, es öffnen sich ständig neue Möglichkeiten….Bewaffnet mit einer Sammlung der gebräuchlichsten Stickstichen aus aller Welt kann ich mich wo immer ich möchte hinsetzen und nadeln. Freiheit pur. Nicht, dass ich meine „Bernina“, die ich jetzt seit 30 Jahren ständig in Reichweite habe, nicht schätze. Sie dient mir immer da, wo es geradeaus geht…
Ich liebe es, spontan zu sein. Natürlich auch Pläne zu machen, Ideen zu Papier bringen und zu einem Bild wachsen zu lassen. Die Ausführung mit Stoffauswahl, Farb- und Garnmaterialbestimmung alleine ist schon ein Prozess der eingeschränkt durch vorhandenes Material viele Entscheidungen nötig macht. Genau dies aber ist mein Lieblingsspiel. Die Oberfläche zu gestalten, ist wie ein Bild malen. Nur eben „Textil“….Textur, manchmal auch Text. Die fertigen Bilder erzählen dann, was gerade in meinem Kopf rumgeistert. Nicht immer für jeden lesbar, aber mit Spielraum für eigene Gedanken.
Manchmal verwende ich Symbole. Schon lange vor uns haben Menschen mit der Hand genäht…..nicht immer nur Nützliches, Brauchbares.
Oft erzählen Nadelarbeiten lange Geschichten. Wie der Teppich von Bayeux. Wie ein spannendes Bilderbuch aus dem 11.Jh. erzählt es die Geschichte von der Schlacht bei Hastings, auf einer Größe von ca. 0,52 x 68 m ist es aber auch Materialkunde, erzählt von Pflanzenfarben, Stichen, Stoffen…
Viele alte Teppiche, gewebt und gestickt,geknüpft berichten vom Leben in der jeweiligen Entstehungszeit. Textilien sind leider aber auch sehr vergängliche Zeitgeschichte.
Kein Vergleich dazu das, was mir da aus der Nadel fließt.....aber dennoch, eine kleine Geschichte hat es immer.
Wir, Heidi Drahota und ich, zwei Textilwerkstätten mit fast gleichem Interesse, haben uns zusammengesetzt. Wir möchten unseren Arbeiten ein Forum geben, textile Geschichten erzählen. Unsere Kreativität, unsere Gedanken sowie Kenntnisse öffentlich machen. Teilhaben lassen an unserem Tun. Und auch Techniken weitervermitteln. Unser Leitfaden, Titel der Ausstellung steht für unsere Arbeiten.
Wir erarbeiten Schicht für Schicht neue Themen, verwirklichen neue Ideen, stellen uns vor neue Aufgaben. So entstehen zu immer neuen Themen Arbeiten aus unterschiedlichen Sichtweisen.
Schicht kann man wörtlich nehmen...sowohl in der Materialwahl als auch in der gemeinsamen Zusammenarbeit. Wir treffen uns wechselweise einmal im Monat und stellen uns neue Aufgaben.
Des akruelle Thema ist
"Strukturiert,Transparent, Dreidimensional"
Daran arbeiten wir gerade, jeder für sich und doch gemeinsam.
Hier ein kleiner Einblick in die Vielseitigkeit der Möglichkeiten ...
Entstanden ist das genähte Tagebuch auf dem Liegestuhl in jeder freien Sonnenstunde und auch in mancher Sternennacht.
Dieser Ausschnitt zeigt einen Ausflug auf die Insel Aeroe/Dk. Und leider nein, nicht im Segelboot, sondern auf einer kleinen Fähre. Aber Segelboot wäre auch nicht schlecht gewesen.....
Bei einem kleinen Picknick am Strand besuchte mich ein kleiner Vogel, wollte mitessen...
Die Grundlage des kleinen Tagebuchs ist Blaudruck. Auf einer Ungarn-Textilreise habe ich ihn erstanden. 9 Blaudrucker gab es damals noch.....einer hieß J. Sasvari. Er schenkte mir diesen kleinen Druckstempel mit den Initialen JS....die ja auch meine sind. Der Blaudruck ist ein faszinierender Vorgang...fast Hexerei.
Das letzte halbe Jahr haben mich alte, kaputte Jeans begleitet. Die Idee, die kleinen
Teile so zusammenzusetzen stammt von "Boro", Flickwerk aus Japan. "Jacke wie Hose" nenne ich die nicht ganz klassisch gearbeitete Decke.
Ursprünglich war jedes kleinste Teil ein Ganzes. Reduziert auf eine kleine geometrische Form, neu zusammengesetzt, ergibt sich wieder etwas neues Ganzes, zu einer neu zusammengewürfelten Gemeinschaft kleiner, sich fremder Teile verschmolzen. Jeder Partikel mit unterschiedlichsten Eigenschaften, verschiedener Herkunft, Farben und Qualitäten ergänzen sich zu einem bunten Potpourri….
Die Ausstellung, für die ich dieses Thema bearbeitet habe heißt "Grenzgängerinnen" und ist, obwohl der Titel vor 2 Jahren gewählt wurde, auch heute sehr aktuell......und sind nicht auch wir Menschen alle gleich, zwar mit Unterschieden, aber doch aus demselben Stoff?
FilzgeSchichten-ZeitgeSchichten
Wie der Filz zu mir kam
Die Geschichte des Filzens reicht weit zurück. Die bei Ausgrabungen in Zentralasien gefundenen textilen Schätze belegen eine
hoch entwickelte Filzkunst um 400 – 300 v. Chr. Vermutlich entstand der Filz jedoch schon viel früher, vor dem Spinnen
und Weben. Hierzu gibt es Belege, die bis in die Steinzeit zurückgehen.
Aufgrund des Aufbaus von Wollfasern, ihrer Vergänglichkeit, sind nur selten bei Ausgrabungen noch intakte Textilien zu finden.
Umso faszinierender ist es, diese Prunkstücke betrachten zu können. Fast nicht zu glauben, dass die so modern anmutenden Objekte so unglaublich alt sind.
Älter als unsere Zeitrechnung.
An den Filzgegenständen aus der Zeit des 4.–2. Jahrhunderts vor Chr., die in einem Hügelgrab in Pazyryk, im Altaigebirge gefunden wurden, kann man eine Vielzahl von Möglichkeiten ablesen, mit Filz zu gestalten: Applikation, Stickerei, Einlegearbeiten,
Mosaikarbeiten. Und dann diese Farben!
Die Textilien konnten sich deshalb so gut erhalten, weil sie im Permafrost konserviert waren. Der Zustand, die Harmonie von Farbe, Form und technischem Können ist überwältigend. Die Funde sind in der Eremitage in Sankt Petersburg ausgestellt.
Die erste Begegnung mit Filz hatte ich beim Besuch der Ausstellung „Gold der Skythen“, die 1984 in München stattfand. Als ich zu
dieser Zeit auch noch von Istvan Vidak, der sich damals schon intensiv mit Filz beschäftigte, zu einer Tagung nach Ungarn
eingeladen wurde, die Filz zum Thema hatte, war ich neugierig geworden. Es war damals für mich nicht realistisch daran teilzunehmen – also probierte ich selbst dem Filz auf die Spur zu kommen.
Mit dem Katalog der oben genannten Ausstellung und dem ersten Heft des „Textilforum“ von 1982, das sich mit dem Thema „Filz“
befasste, machte ich mich damals ans Werk.
Mit Erfolg.
Inzwischen habe ich viele Teppiche gefilzt. Anläßlich einer Ausstellungen im Museum entstand eine Broschure, ein Ausstellungskatalog mit dem Titel Filzgeschichten, ein Teppich entsteht,
"stuff for thougt" ... Zeug oder Material zum Nachdenken. Nachdenken über unseren Umgang mit, in meinem Fall, Textilien. Woher kommen sie ? wohin gehen sie? Wie werden sie hergestellt? und von wem? Tragen wir nicht alle eine reine, weiße Weste? Wissen wir immer woher unsere Textilien wirklich kommen? Wollen wir es wissen?
"Bloody trade" soll meine Beitrag heißen.
Die Arbeit besteht aus Symbolen, die Geschichten erzählen.
So steht die Grundfarbe weiß für die Summe aller Farben. Und die sprichwörtliche weiße Weste.
Die einzelnen kleinen und kleinsten Teile stehen für „sammeln“.
Kleinste Mengen, zusammengelegt geben eine große Fläche, haben große Wirkung.
Jeder kleinste Gedanke, lange genug zusammengetragen, hat irgendwann eine Tat zur Folge. Auch für Menschen, kleine, große, vielfältige ... stehen die einzelnen Teile.
Die Farben der Nähfäden sprechen von Angst und Not, Schmerz Trauer und Aussichtslosigkeit, Krankheit, Hoffnung.
Namen zu nennen zeugt vom Wissen, dass es um Menschen, Persönlichkeiten geht.
Näh-Stickstiche und Techniken erzählen von uralter Kenntnis und Fertigkeit sowie Tradition weltweit.
All diese Verbindungen sollten uns zum Nachdenken anregen. Zum Nachdenken über die Rechte des Menschen. Rechte!? Stuff for thougt ...
In Arbeit... mehr unter "Nadelarbeiten"
Der Granatapfel steht in der Symbolik unter Anderem für Fruchtbarkeit, Macht, Blut, Tod. Es heißt, mit ihm wurde Adam von Eva im Paradies verführt. Seit jeher gilt der Granatapfel als Symbol der Schönheit und des Wohlbefindens, keine Frucht hat die Menschheit mehr fasziniert als er. Auch als Symbol für ewige Jugend steht der Granatapfel. Aphrodite, die griechische Göttin der Schönheit, bekommt von Paris als Ausdruck der Bewunderung ihrer Anmut einen Granatapfel überreicht. Das ist das Eine.
Das Andere, es ist eine wohlschmeckende Frucht, die in warmen Ländern zu Hause ist. Die Kerne, es sollen 613 sein, so viele , wie Gesetze des alten Testaments, sind saftige, fruchtige, leckere Grundlage zu vielerlei orientalischer Speisen. Nachdem diese zum Verzehr der Frucht entnommen sind, ergibt die Schale, der "Abfall" , eine Basis zum Färben.
Ich habe es erprobt und kann nun verstehen, warum diese Schalen, gerieben zu Pulver, ein wichtiger Farbstoff zur Wolle/Seidefärbung für die Teppichweberei im Orient war.
Es ist nicht, wie man annehmen könnte ein Ergebnis in Rottönen. Nein, ein leuchtendes, warmes Sonnen- Gelb und ein zartes Rosa /Apricot habe ich auf unterschiedlichem Material erzielt.
Zwischen Herbst und Winter dekoriere ich gerne mit den dann preiswerten Früchten. Manche esse ich, manche lasse ich lange liegen. Ich mag die Farbe und die Form... Irgendwann sind sie aber dann alt und matt und das ist genau der richtige Zeitpunkt sie ... nein , nicht wegzuwerfen, in den Kochtof zu versenken. Sie wieder zum Leben zu erwecken, Farbe zu machen, eine neue Geschichte für sie zu entwickeln.
Aus Linoleum habe ich einen Granatapfel geschnitten. Einen Stempel zum Drucken auf die gefärbten Stoffe. Diese bilden den Hintergrund meiner Erzählung vom Granatapfel.
Ich setze sie zusammen, indem ich Struktur und Farbe in unterschiedlichen Rechtecken schneide und aneinanderfüge. Per Hand, mit kleinen Überwendlingstichen. In der Art vom englischen "Paperpiecing", aber ohne Papiereinlage. Aber auch zerrissen, fransig und frei nach Belieben appliziert und aufgenäht, eingefügt. Nur per Augenmaß. Steht der Granatapfel doch für "Leben" ... so soll auch die Textilarbeit kreativ lebendig bleiben. "Lebendig" steht auch für Abweichungen von der Norm, folgend der Eingebung, Spontanität und freiem Denken ...
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